Als der Osten noch Heimat war

Was vor der Vertreibung geschah
Ulla Lachauer - Als der Osten noch Heimat war. Was vor der Vertreibung geschah: Pommern, Schlesien, Westpreußen

Was vor der Vertreibung geschah: Pommern, Schlesien, Westpreußen

Als die deutschen Gebiete im Osten Europas nach 1945 verlorengingen, betrauerten Millionen deutscher Flüchtlinge den Verlust ihrer Heimat. Für sie war eine heile Welt zusammen gebrochen, in der die Menschen verschiedener Völker friedlich zusammengelebt hatten. Aber wie heil war diese Welt wirklich? Schließlich hat es zwischen den lebenden Deutschen und ihren polnischen Nachbarn nicht unbeträchtliche Spannungen gegeben – in Westpreußen etwa waren die Deutschen nach dem Ersten Weltkrieg zur Minderheit geworden, in Schlesien war es teilweise umgekehrt. Hier wurden polnische Schulen geschlossen, und viele Polen sahen sich gezwungen, deutsche Namen anzunehmen.

Wie erging es denen, die sich weigerten? Und welche Folgen hatte die brutale Germanisierungspolitik der Nazis für sie? Fragen, die bis heute in Deutschland kaum gestellt werden.

Anhand zahlreicher Fotos und persönlicher Zeugnisse widmet sich dieses Buch dem hochemotionalen Thema. Drei Regionen – Pommern, Schlesien, Westpreußen – stehen dabei exemplarisch für das Schicksal von Deutschen und Polen, die im ehemals deutschen Osten zusammengelebt haben oder ihn heute als ihre Heimat ansehen. Ein ungewöhnlicher Blick auf die Vorgeschichte von Flucht und Vertreibung und das eindrucksvolle Gesamtbild einer versunkenen Epoche.

Die Autoren Ulla Lachauer, Wlodzimierz Borodziej, Gerald Endres, Hans-Dieter Rutsch und Beate Schlanstein breiten ein fesselndes historisches Panorama aus.

 

Beitrag von Ulla Lachauer:

Goetheschüler. Eine Reise an die Weichsel (S. 117- 196)

Noch heute bezeichnen sie ihre Jugend an der Weichsel trotz schwieriger politischer Umstände als glücklich. Durch den Versailler Vertrag von 1919 ist ihre westpreußische Heimat der jungen Republik Polen zugeschlagen worden.

Panorama des winterlichen Graudenz

Panorama des winterlichen Graudenz

Graudenz, ihre Stadt, heißt nun Grudziadz. Ein Großteil der Deutschen verlässt damals die Heimat Richtung Deutschland, nur eine kleine Minderheit bleibt: Erich und Ursula, die Gutsbesitzerkinder, die Gärtnerstochter Christel und Rosemarie, Tochter des evangelischen Pfarrers, wachsen in eine Welt hinein, in der sie sich mühsam behaupten müssen. Ein Leben im Zwiespalt: Hier die national gesinnten Eltern und die private deutsche Goetheschule, dort der polnische Staat, der von ihnen Loyalität verlangt, und die Frage, wie offen begegne ich meinen polnischen Nachbarn. Ihre Spielgefährten heißen Matula und Janek, im Alltag überwiegt oft das Freundschaftliche. Doch je älter sie werden, desto mehr geraten Erich, Ursula, Christel und Rosemarie in den Sog des Zeitgeistes. Unter dem Einfluss Hitlerdeutschlands geraten die Deutschen an der Weichsel in eine gefährliche Isolation. Als Hitler 1939 Polen überfällt, werden viele von ihnen in die nationalsozialistischen Verbrechen verstrickt. Und am Ende werden sie vertrieben – Jahrzehnte vergehen, bis sie über den Verlust und über ihre Erinnerungen an seine Vorgeschichte sprechen können.

Die Vergangenheit ist ein anderes Land.